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Bei Lernproblemen ist es wichtig, die Ursache zu finden

Kinder mit Lernstörungen haben ihre Stärken häufig im bildhaften Denken. Foto: pexels.com/Sarah Dietz

29.01.2021

Lerntherapeut (FiL) Stefan Reiner hat seine Erfahrungen im Umgang mit Kindern, die an Lernstörungen und -schwächen leiden, in einem Elternratgeber zusammengefasst. Im Interview gibt er Einblick in seinen Erfahrungsschatz.

„Jedes Kind kann Schule“ thematisiert Lernschwierigkeiten wie Legasthenie, Dyskalkulie und ADHS. Wozu dieses Buch?Reiner: Häufig wird bei Kindern und Jugendlichen mit Lernproblemen geübt, bei Konzentrationsschwächen werden oft auch Psychopharmaka verordnet. Ich merke aber, dass es viel wirkungsvollere Möglichkeiten gibt, um Kindern nachhaltig zu helfen. Mit diesem Elternratgeber kann ich den Betroffenen am direktesten helfen.Üben alleine ist also nicht immer das Mittel der Wahl.Es gibt Kinder, bei denen Üben hilfreich ist. Ich erlebe es aber häufig, dass noch mehr üben eher Frust, Schulverweigerung, Lernblockaden und Blackouts bewirkt. Bei Lernproblemen ist es wichtig, die Ursache zu finden. Es gibt Kinder, die haben eine Leseschwäche, weil zum Beispiel etwas an den Augenachsen nicht stimmt. Es geht um einen ganzheitlichen, interdisziplinären Blick, bei dem medizinische Ursachen ebenso in Betracht gezogen werden wie das System Familie und die Psyche des Kindes.Treten Lernstörungen heute häufiger auf als früher?Sie kommen häufiger vor. Zum einen, weil sich die Kindheit, die motorische und sensorische Entwicklung, verändert hat. Es fehlt das Auf-die-Bäume-Klettern und Herumspringen. Zum anderen schaut man viel mehr auf die Kinder. Weicht ein Erstklässler ein bisschen vom durchschnittlichen Leistungsniveau ab, wird viel schneller geschaut, was da los ist. Auch Eltern sind nervöser. Manchmal muss man nur abwarten. Nach den Sommerferien oder nach einer Krankheit gibt es manchmal einen Entwicklungsschub und plötzlich geht das Lesen oder das Sich-Konzentrieren viel besser.    

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Foto: privat

Besteht durch diese Aufmerksamkeit die Gefahr, zu schnell eine – vielleicht falsche – Diagnose zu stellen?

Zum Teil. Es gibt die Situation, dass Kinder von der Schule zum Kinderpsychiater oder Schulpsychologen geschickt werden, weil sie verhaltensauffällig sind. Man erhofft sich zum Beispiel von Psychopharmaka, dass das Kind wieder angepasst am Unterricht teilnehmen kann. Es gibt aber auch die Situationen, in denen man zu lange wartet. Rechenschwache Mädchen sind zum Beispiel still, schüchtern und intelligent. Mit Tricks wie Fingerrechnen unter dem Tisch verheimlichen sie ihre Rechenschwäche oder auch Dyskalkulie. Dann wird es oft zu spät entdeckt.

Warum ist es wichtig, dass Lernstörungen früh erkannt werden?

Es ist sinnvoll, Lernstörungen zu erkennen, bevor das Kind psychisch schon völlig frustriert in die Schule geht oder sogar Neurosen entwickelt. So kann man frühzeitig und einfacher helfen. Allerdings sollte auch das Kind bereit sein, sich helfen zu lassen. Hat es keinen Leidensdruck, ist eine Therapie nicht sinnvoll.


“Viele Kinder mit Legasthenie oder Dyskalkulie denken, dass sie dumm sind oder sich nicht genug anstrengen. Das stimmt aber nicht. Es handelt sich um eine Lernstörung, die man in den Griff bekommen kann.“

Stefan Reiner, Lerntherapeut (FiL), Autor


Traut man Kindern mit einer Lernstörung zu wenig zu?


Es kommen viele Kinder mit Legasthenie oder Dyskalkulie zu mir, deren Selbstwertgefühl sehr niedrig ist, weil ihnen nur vermittelt wird, was sie alles nicht können. Liegt Legasthenie oder Dyskalkulie vor, weiß man aber, dass dieses Kind zumindest durchschnittlich intelligent ist, und das sollte man vermitteln. Eltern und Pädagogen sollten immer auch auf die Stärken eines Kindes hinweisen. Denn diese Kinder haben häufig mehr Fantasie als andere, können gut in Bildern denken, aber nicht so gut formulieren und niederschreiben. Sie haben ihre Stärken häufig in der rechten, bildhaften Gehirnhälfte und das kann berücksichtigt werden. Es gibt auch viele berühmte Persönlichkeiten, die eine schwere Schulzeit hatten, aber in der Berufswelt ihr Potenzial entfalten konnten.

Ein großes Thema ist aktuell das Distance Learning. Wären Kinder mit Lernschwierigkeiten in der Schule besser aufgehoben?

Das lässt sich wohl nur individuell beantworten. Ich habe einen Schüler, der ist sehr selbstständig, den stressen die vielen Kontakte und die vielen Sinneseindrücke in der Schule. Er kommt mit dem Online-Unterricht gut klar. Andere brauchen die menschliche Begegnung zum Lehrer. Wenn die Eltern nicht die Möglichkeit haben, das Kind richtig zu begleiten, rutscht es unter Umständen durch das Netz.

Elternratgeber: Jedes Kind kann Schule

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Stefan Reiner ist ein vom deutschen Fachverband für integrative Lerntherapie (FiL) qualifizierter Lerntherapeut, Lehrer, Dozent in der Lerntherapie-Ausbildung und Vater. Mit seinem Buch gibt er Eltern einen Ratgeber mit umfangreichen Hintergrundwissen und praktischen Tipps in die Hand. Zusätzlich hat der Autor ein Online-Portal entwickelt: www.lerntherapie-muenchen.de/neu-onlineberatung

Jedes Kind kann Schule – Ganzheitliche Hilfe bei Legasthenie, Dyskalkulie, Prüfungsangst, Konzentrationsproblemen und ADHS, Stefan Reiner, GU-Verlag, 208 Seiten, 17,50 Euro, ISBN: 978-3-8338-7586-1